Öffentlicher Bücherschrank bald wieder am alten Platz
Wer das Atelier eines Künstlers betritt, erwartet unweigerlich einen lichtdurchfluteten Raum, in dem ein Maler im weißen Kittel mit Pinsel und Farbpalette vor einer Staffelei steht und seine kreativen Ideen auf die Leinwand überträgt. Nicht so beim Künstler Motz Tietze. Als eine kleine Delegation des Fördervereins KunstPlatz in der vergangenen Woche den Künstler im Mannheimer Stadtteil Neckarstadt-Ost besuchte, da glaubten sie sich eher in eine Schlosserwerkstatt oder eine Tischlerei versetzt. Nicht nur, dass die Wirkungsstätte Tietzes an eine „nette Hinterhofatmosphäre“ erinnert, auch im Innern waren überall Werkzeuge zur Holz- und Metallbearbeitung gut sortiert in Schränken und Regalen deponiert, Schraubzwingen aller Größen waren ordentlich und nach Größe auf Gestelle platziert, ein Schweißgerät in einer Ecke des Raumes wartete auf seinen Einsatz und besonders ins Auge fiel ein kleiner Amboss, der in einem ausgedienten Schuh montiert war.
Michel Spicka und Monika Hott waren mit Tietze verabredet, um die Reparatur des abgebrannten Teils des Bücherschrankes zu besprechen. Vom Hemsbacher Bauhof war Tage zuvor der zerstörte Korpus und das Dach nach Mannheim transportiert worden und Motz Tietze hat unverzüglich mit der Demontage begonnen. Auch die ersten Schritte der Reparatur sind bereits erfolgt und die beiden Besucher konnten eine Vorstellung vom „Neubau“ mit nach Hause nehmen. Der Körper des Schrankes ist mit Blech verkleidet, das mit Pulverlack wetterfest beschichtet ist. Auf Wunsch von Spicka soll der Schrank allerdings wieder in der ursprünglichen Farbgebung lackiert werden. Die Schrankfächer, es sind zwei an der Zahl, sind mit durchsichtigem Plastik verschlossen, um den Wetterunbilden standhalten zu können. Vom zerstörten Dach ist das Gerüst erhalten geblieben, musste gereinigt und lackiert werden und soll wieder Verwendung finden. Hier plant Tietze eine Konstruktion aus Blech, jedoch: „Ich bin zwar gut ausgerüstet, aber manchmal brauche ich doch Hilfe.“ So wird diese Arbeit an einen Betrieb mit Biegemaschine vergeben, Michel Spicka hat zugesagt, den Kontakt zu einer Schlosserei herzustellen.
Materialien wie Kunststoff, Holz und Metall sind für den Mannheimer Künstler alltägliche Werkstoffe. Deren Bearbeitung „liegt in den Genen“, denn sein Vater war Handwerksmeister und seine Brüder sind in derselben Berufsgruppe zu finden. Bevor Tietze seinen Stil und seine Kunstrichtung für sich entdeckte, hatte er einen Berufsabschluss als Elektromechaniker erlangt. So erklären sich seine technischen Grundlagenkenntnisse und „sie entwickelten sich weiter aus natürlicher Neugier und jahrzehntelanger Erfahrung“, wie er es den Besuchern erklärte.
Motz Tietze ist nicht nur ein Künstler und Handwerker, der vor über 50 Jahren an den Hochschulen in Mannheim und Offenbach studierte, er ist seit zwei Jahrzehnten Dozent an der Freien Kunstakademie Mannheim: „Ich arbeite gerne mit jungen Menschen zusammen und möchte, dass sie mit Zufriedenheit ihr Ziel erreichen.“ Monika Hott ergänzte die Aussage mit dem Hinweis, dass er in einer Gruppe für harmonische Stimmung sorgt und es versteht, sie zu motivieren. Das hat sie nämlich unlängst selbst erfahren, als sie mit einer Jugendgruppe das Atelier besuchte: „Er lässt die Jugendlichen arbeiten, übt keine Kritik sondern unterstützt durch Tipps.“ Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern hat er nicht nur den jetzt abgebrannten Bücherschrank geschaffen, sondern begleitete die Jugendlichen im Rahmen eines Kunstprojektes nach Bray-sur-Seine. Dort haben die Hemsbacher Jugendlichen mit gleichaltrigen französischen Schülern eine Mauer im dortigen Schwimmbad künstlerisch gestaltet. Beim Gegenbesuch wurde auf der alla hopp!-Anlage eine Wand verschönert. Für Tietze ist es wichtig, dass beispielsweise die Studierenden selbst herausfinden, was sie können, „was in ihnen steckt“, er möchte für sie nur den Raum dazu schaffen.
Fazit des Besuchs von Spicka und Hott: „Der Schrank erstrahlt nicht nur im neuen Glanz – dank des Künstlers Motz Tietze ist er fast schon repariert und wird in Kürze seinen alten Platz am Rathaus einnehmen.“ (Bodo Nakoinz)